Haushaltsrede des Stadtverordneten Cevat Bicici von WIR AUS Mülheim im Rat der Stadt zum neuen kommunalen Doppelhaushalt 2022 / 2023
Mülheim,11.11.21
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, werten Ratskolleginnen und -kollegen,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
als Stadtverordneter des überparteilichen kommunalen Personenwahlbündnisses WIR AUS Mülheim möchte ich zum Haushalt 2022 /2023 folgende Stellungnahme abgeben:
Um es gleich vorwegzunehmen: Ich werde diesem Doppelhaushalt mit seinem Haushaltssicherungskonzept nicht zustimmen.
WIR AUS Mülheim ist nicht bereit, diese sogenannte Sparpolitik mitzutragen. Sie wälzt die Folgen der Haushaltskrise der Kommune auf die Bürger und Bürgerinnen dieser Stadt ab. Mit „ Sparen“ hat das, was hier passiert, überhaupt nichts zu tun. Hier wird bewusst ein Wort benutzt, das in den Ohren der Bürgerinnen und Bürger einen positiven Klang hat, denn mit Sparen ist eigentlich gemeint, dass etwas zur Seite gelegt wird zwecks späterer Verwendung.
Die meisten wissen jedoch: Wenn die Regierenden vom Sparen reden, dann geht es nur darum, dass die Bürger einmal mehr zur Kasse gebeten werden sollen – in dem Irrglauben, dass so die Haushaltskrise bewältigt werden könnte.
Die Kernkritik am Prinzip des HSK zielt darauf ab , dass sämtliche kommunalen Aufgaben nur noch unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten gesehen und beurteilt werden. Das Prinzip der Daseinsvorsorge verträgt sich nicht mit dem Anspruch, einen Gewinn erwirtschaften zu müssen. Und eine Stadt ist bei aller Verpflichtung zu wirtschaftlichem Handeln zum Glück nicht mit einem Wirtschaftsunternehmen gleichzusetzen.
Aufgaben wie das Betreiben von Kindergärten, Schulen, Theatern, Stadtteilbüchereien, Offenen Ganztagsschulen oder des Öffentlichen Personennahverkehrs ausschließlich dem Diktat der Wirtschaftlichkeit zu unterwerfen, ist zu kurz gedacht. Denn eine solche Vorgehensweise lässt den eigentlichen Wert dieser wichtigen Aufgabenbereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge außer Acht:…..
Die betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise degradiert den Menschen zum bloßen Kostenfaktor und im Ergebnis wird die öffentliche Daseins für- und vorsorge endgültig unter das Diktat der „Rotstiftpolitik“ gestellt.
So schön die gestiegenen Steuereinnahmen durch Erhöhung der Gebühren und Hilfen durch das Land NRW für Mülheim sind, weil es dadurch gelungen ist einen so genannten fiktiven Haushaltsausgleich zu erreichen, so teile ich dennoch nicht die Einschätzung, dass nun eine Haushaltskonsolidierung und eine Entschuldung aus eigener Kraft vorstellbar ist. Das ist eine Illusion. Die Gesamtschulden des städtischen Haushaltes liegen unter Einschluss der Schulden der Eigenbetriebe, inklusive der Liquiditätskredite bei annähernd über zwei Milliarden Euro.
Wie sieht Ihr Weg der sogenannten Haushaltskonsolidierung aus?
Es ist ein Weg der Konsolidierung durch Personalabbau, Aufgabenreduzierung, Standardreduzierung und Leistungsverzicht, wie auch der Gebührenerhöhungen zur Einnahmesteigerung. Dieser Weg geht zu Lasten der Beschäftigten der Stadt und der Bürger, die immer mehr zur Kasse gebeten werden. In den unteren Arbeitsebenen hat die Arbeitsverdichtung in der Stadtverwaltung so zugenommen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem Zahnfleisch kriechen. Aber wir haben eine fünfte Dezernentenstelle neu geschaffen.
Kürzungen in der Daseinsvorsorge, öffentlicher Nahverkehr hier sollen 2 Millionen Euro eingespart werden. Werte Ratskolleginnen und Kollegen wer für die Verbesserung unserer Umwelt eintritt, fördert auch den Ausbau des ÖPNV auf Schienen und zwar mit kostenloser Nutzung, das wäre eine wirkliche Alternative, stattdessen wird der ÖPNV hauptsächlich als Defizitträger gesehen. Kürzungen in der Bildung, bei den Stadtteilbibliotheken, Nichtschaffung von bezahlbarem Wohnraum u.s.w. . Diese Krisenlasten der Kommune werden auf die Bürgerinnen und Bürger in Mülheim abgewälzt. Den erfolgreichen Bürgerentscheid zum Erhalt der VHS-Gebäude in der MüGa hat dieser Rat, der sich eigentlich den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet fühlen müsste, ignoriert und ausgesessen. Diese kurzsichtige Denkweise prägt nach wie vor das politische Handeln in Mülheim.
Diesen Weg der Konsolidierung lehnt WIR AUS Mülheim ab. Das ist ein Weg, der nicht an die Ursachen geht, im Gegenteil, er reicht die Misere einfach nach unten weiter.
Was ist der Grund für die problematische Haushaltslage?
Die Hauptgründe liegen noch nicht einmal in erster Linie in der Ausgabenpolitik der Kommune. Der OB wie auch der Kämmerer haben eine Reihe von Gründen genannt, die sowohl in der Politik der Landesregierung wie auch der großen Koalition liegen und ich halte diese durchaus für zutreffend: Das nicht umgesetzte Konnexitätsprinzip, die ständige Zuweisung neuer Aufgaben durch Bund und Land ohne entsprechenden Finanzmittel in ausreichender Höhe, die Umschichtung des Landeshaushalt zu Lasten der Kommunen.
Aber vor allem die Unternehmersteuerreform unter der alten Rot/Grünen- Regierung, die Entwicklung seit 2001bis heute, haben die kommunalen Haushaltskrisen vertieft. Das war der sogenannte Agenda-Prozess. Damit wurde eine Umverteilungspolitik von unten nach oben praktiziert: aus den Taschen der kleinen Leute in die Taschen der großen Konzerne.
Zwei Aktuelle Beispiele möchte ich hier anführen:
Während der Einzelhandel durch die Corona-Krise ums Überleben kämpft, streichen Konzerne riesige Profite ein. Der Eigentümer von Lidl und Kaufland, Dieter Schwarz, Er steigerte sein Vermögen in 2020 von 22,6 auf 36,8 Milliarden Euro. Amazon und Facebook haben ihre Gewinne im zweiten Quartal 2020 verdoppelt. Die Amazon-Filiale in Luxemburg hat im vergangenen Jahr einen Rekordumsatz von 44 Mrd Euro gemacht. Über Luxemburg werden auch die Geschäfte in Deutschland, abgewickelt. Leider hat die Luxemburger Filiale nichts verdient, sagt Amazon. Sie hätten sogar Miese gemacht. Deswegen hat das Unternehmen keinen Cent Steuern bezahlt, sondern sogar eine Steuergutschrift von 53 Mio Euro bekommen, (berichtet der Guardian). Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung es zulässt, dass diese Gewinne fast vollständig unversteuert in ausländische Steueroasen abfließen. Während viele kleine Unternehmen und von der Krise Betroffene bis heute auf jegliche Hilfe warten und vor dem Ruin stehen. Die Vorstandsetagen deutscher Konzerne wie BMW, Knorr Bremse und Co. schicken Beschäftigte in Kurzarbeit, aber verteilen mit Steuergeldern Dividenden, während unsere Kommunen kaputt gespart werden. Diese Abzocker-Mentalität muss ein Ende haben.
Das ist ungerecht und zerstört die Grundlage des sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Mit der Agenda 2010 begann die systematische Zerschlagung der bisherigen Sozialversicherungssysteme. Das hat nachhaltige, negative Auswirkungen bis heute in die kommunalen Haushalte. Die Folgen sind bekannt. Immer mehr Menschen sind auf Hartz IV angewiesen. Oder andersherum ausgedrückt, die Armut hat auch in unserer Stadt erheblich zugenommen. Hartz IV ist wesentlich mit verantwortlich dafür, dass sich der Niedriglohnsektor so ausgeweitet hat, das die sogenannten Minijobs nach jüngsten Zahlen 500,000 reguläre Sozialversicherungspflichtige Jobs vernichtet hat. Die auch hier vertretenen Parteien tragen Verantwortung für eine Politik von Bund und Land, die die Kommunen bis zum letzten Tropfen ausblutet.
Die Kommunen brauchen eine drastische Veränderung ihrer Einnahmeseite. Einen Weg aus der Schuldenkrise kann es nur geben, wenn man den Mut hat, die Gewinne der Großkonzerne, der Reichen und Superreichen anzugreifen! Es ist ausreichend Geld da, um die wichtigsten Aufgaben der Kommune zu finanzieren und um unsere Stadt lebens- und liebenswert sowie zukunftsfähig zu erhalten. Wir fordern nach wie vor ein Zins- und Schuldenmoratorium und Altschuldenregelung des Landes.
Aus den genannten Gründen lehne ich den vorgelegten Haushalt ab.
Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.
Cevat Bicici – Stadtverordneter WIR AUS Mülheim